David Garrett – Recital Tour 2010
14. Mai 2010 ::: Gewandhaus Leipzig
14.05.2010 [nm] Erst sind es nur wenige, doch nach und nach strömen immer mehr Klassikliebhaber ins Leipziger Gewandhaus. Heute Abend ist jeder der 1.900 Plätze des vollklimatisierten, amphitheatrischen Großen Saals des Musikhauses begehrt. Einige tuscheln. Kurz vor 20.00 Uhr wird das Licht gedämmt. Nur der für diesen besonderen Tag fein polierte schwarze Flügel, auf dem Parkett in der Mitte, auf den man von allen Seiten einen herrlichen Blick hat, strahlt jetzt noch in hellem Glanz. Bis auch das letzte Gespräch verstummt. Denn plötzlich öffnet sich eine Seitentür und ein Raunen, untermalt von einigen Jauchzern, durchzieht den Raum. David Garrett, mit blondem Zopf, in schwarzem Blazer, weißem Hemd und (wie könnte es garrettstylish auch anders sein) lässig kombiniert mit einer Blue-Jeans und dazu passenden schwarzen Slippern, betritt die Bühne und nimmt auf einem Barhocker neben dem Klavier Platz. Mit tobendem Applaus wird auch Garretts Konzertpartner, der französische Pianist Julien Quentin, empfangen.
Mit dem Tanz No.5 von Johannes Brahms beginnt das Kammerkonzert, welches, wie Garrett selbst zu sagen pflegt, aufgrund der Reduktion auf wenige Musikinstrumente entweder „deine Schwächen gnadenlos offenlegt oder deine Meisterschaft zeigt.“ Die Zuhörer, die auf den Sitzen bewegungslos jedem Ton lauschen, mögen dies schon verinnerlicht haben und scheinen erst wieder zu atmen, als Garrett, mit dem Mikrophon in der rechten und der Violine in der linken Hand, das zweite Stück des Abends ankündigt. Die Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 d-Moll op. 108 von Johannes Brahms, die ihm „wirklich sehr nah am Herzen liegt“, weil es nach der Zeit in der Juilliard School (eine renommierte Musikschule in New York) das erste Stück war, welches er vor Publikum spielte. Garretts Einstieg ins Berufsleben sozusagen. Auch jetzt verharrt das Publikum verträumt dreinschauend auf dem Hosenboden. Die Einzige, die sich, neben den Künstlern natürlich, bewegen will und muss, ist eine Dame im kleinen Schwarzen, die Quentins Notenseiten umblättert, damit dessen flinke Finger, nicht mal für einen klitzekleinen Moment ruhen müssen. Das können sie auch nicht, denn Garrett, der ständig Blickkontakt zum Pianisten hält und seinen Bogen unermüdlich über die Violine sausen lässt, gilt schließlich (spätestens seit seinem Weltrekord-Hummelflug von Rimski-Korsakow Ende Mai 2008, den er in sensationellen 66,56 Sekunden fiedelte) als schnellster Geiger der Welt. Als die Klänge beider Instrumente miteinander verschmelzen, schließe ich für einen Moment die Augen und stelle mir vor, die zwei würden nur für mich spielen. Als ich gerade so hin und her im Takt mitschwinge, werde ich aber von einem Handybimmeln aus meinem Tagtraum gerissen. Aber auch diese kleine Störung weiß der David Beckham der Violine, wie Garrett aufgrund seines guten Aussehens von der Presse hin und wieder genannt wird, zu überspielen. Er legt einfach noch an Tempo und Lautstärke zu und verlautet am Ende des Werkes spitzbübisch: „Julien, ich habe dir doch vor dem Auftritt gesagt, du sollst das Handy ausmachen.“ Dann hat eben jeder erst einmal Pause. Aber nicht aufgrund einer garrettschen Erziehungsmaßnahme, sondern weil Maurice Ravels Tzigane im ersten Teil ein Violinensolo erfordert, dass Garrett allein brillieren lässt. Die Finger der linken Hand sausen über die Saiten und auch die rechte Hand führt den Bogen in atemberaubendem Tempo auf und ab. Dann darf Quentin wieder einsteigen und beide fiedeln und klimpern sich so in Ekstase, dass es kurz nach dem letzen Ton nicht nur die Konzertbesucher, sondern sogar Garretts Barhocker umhaut. Nun brauchen Künstler und Publikum erst einmal eine Verschnaufpause. Doch die Zeugen dieses beschwingt schnellen Spiels verharren auch jetzt noch für einige Sekunden auf ihren samtweichen roten Sitzen. Hier und da hört man ein „Wahnsinn“ oder „Klasse“ aus den Reihen.
Mit Mozarts Sonate Nr. 18 in G-Dur KV 301(293a) und der passend zur Jahreszeit ausgewählten Frühlingssonate (ebenfalls von Beethoven), auch wenn Garrett zugibt: „Draußen ist es noch etwas kühl, aber die nächsten Tage wird´s hoffentlich wärmer“ erfüllen nun ruhigere, leichtere, ja man könnte auch meinen romantischere Melodien den Raum. Wenn man die Augen schließt, so wähnt man sich in einem pompösen Kleid, die Füße übers Parkett schwebend, in einem großen Ballsaal. Ja, Garretts Kammerkonzert zeigt einen klassischen, ruhigen, verträumten Musiker, der zurück zu seinen Wurzeln gekehrt ist und stolz darauf sein kann an diesem Abend, neben zwei Dritteln an Ehepaaren der Generation 40 plus auch ein Lächeln auf so manch junges Gesicht, gezaubert zu haben. Damit hat er bewiesen, dass er nicht nur als Schnellster den Hummelflug schmettern kann und mit Hits von Metallica, Nirvana oder Michael Jackson Millionen begeistern kann, sondern dass er eben genauso virtuos und leidenschaftlich klassische Stücke arrangieren, interpretieren und musizieren kann
Das mag wohl auch der Grund sein, warum ihn die Musikliebhaber des Abends spätestens nach der ersten Zugabe, dem Liebesleid von Kreisler und der zweiten Zugabe, Hora Staccato“von Grigoras Dinicu, mit tosendem Beifall und rhythmischen Klatschen nicht gehen lassen wollen. Als Garrett auch zur dritten Zugabe mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht erscheint, hält es keinen mehr auf den Sitzen. Die Körperstarre ist überwunden. Standing Ovations für den Maestro an der Violine, der zugibt: „So schnell werdet ihr mich heute Abend nicht los – ja, wir haben heute Abend einfach Spaß auf der Bühne.“ Und die Zuhörerschaft, die hat bei Paganinis Carnevale di Venezia oder wie Garrett es erklingen lässt Mein Hut, der hat drei Ecken – drei Ecken hat mein Hut richtig Spaß, denn der Spitzbub an der Geige erhebt sich plötzlich von seinem Hocker und will sich spielend in Richtung Ausgang davonschleichen. Da muss auch Quentin lachen. Aber mit Fosters Jeannie With the Light Brown Hair, und damit der vierten und letzten Zugabe des zweistündigen Ohrengenusses, ist dann leider wirklich Schluss.
Aber für die ganz hartnäckigen Fans hat der virtuose Garrett noch eine Überraschung auf Lager. Eine knappe halbe Stunde nach dem Konzert erscheint er, die Violine gut verpackt und auf den Rücken geschnallt, im Foyer. Wie am Fließband unterschreibt er Eintrittskarten, Poster, Fotos und sogar Violinen, die die vier- und fünfjährige nächste Geigengeneration gerne als Ansporn fürs eigene Spiel signiert haben will. Eine ältere Dame beugt sich ganz nah an den Künstler heran und tuschelt gerade so, als säße dort, umgeben von zwei Bodyquards und dem Manger, der ständig neue Signierwünsche nachschiebt, am Tisch der eigene Enkel. Dann bin auch ich an der Reihe. Wenn einen diese samtweichen braunen Augen anblicken, da fehlen einem – egal wie gut man sich auf diese Situation vorbereitet – für einen kurzen Moment Atem und Stimme. Aber dann, welch ein Glück, bringe ich doch noch ein „Vielen Dank für den wunderschönen Abend – und Danke für einen klassischen ganz anderen David Garrett“ hervor. Der schaut mit einem leisen „Danke“ noch einmal auf und dann ist schon der nächste Fan an der Reihe. Eine knappe Stunde später heißt es dann Violine aufschnallen, ein letztes Winken und Lächeln in die Runde, und „Bye Bye“ bis zum nächsten Mal.
Vielleicht ja bis zum 8. Juni 2010 beim großen Open Air auf der Kindl-Bühne Wuhlheide in Berlin, am 26. Oktober 2010 in der Arena Leipzig oder am 25. Juni 2011 unter freiem Himmel auf dem Domplatz in Erfurt. Vielleicht aber auch an einem ganz anderen Ort. Dann wird David Garrett wahrscheinlich, samt Band und Orchester, wieder lautere, modernere Töne anschlagen und die Crossover-Fans rocken. Hoffentlich wird er seiner Violine dann auch das ein oder andere klassische Stück entlocken. Denn durch sein Kammerkonzert am heutigen Abend im Gewandhaus zu Leipzig hat er mit Sicherheit ein paar Klassikfans dazu gewonnen.
Tourinfos unter: http://www.david-garrett.com
Nicole Meißner
Die Bilder stammen aus unserer David Garrett-Galerie vom 16. Januar 2010 | Messehalle, Erfurt